HOMENAJE IN MEMORY OF Danielle Huillet
|
Am 1. Mai dieses Jahres wurde die Regisseurin Danièle Huillet 70 ein Anlaß, ihre über 40jährige Zusammenarbeit mit Jean-Marie Straub zu würdigen und nach der spezifischen Frauenpolitik der Huillet/Straub-Filme zu fragen.
Nicht versöhnt nach Heinrich Bölls Billard um halb zehn wurde der erste Langfilm des Filmemacherpaars; zwei vorher entworfene Projekte Chronik der Anna Magdalena Bach und Moses und Aron konnten erst nach mehr als zehn Jahren Durchsetzungsarbeit verwirklicht werden. Danièle Huillet tritt in Nicht versöhnt (1965) auch als Darstellerin auf, als junge Architektengattin Johanna Fähmel. Die Tochter aus bürgerlich einflußreichem Haus sieht im Verlauf ihres Roman-/Filmlebens zwei Kinder früh sterben, einen Sohn zum Nationalsozialisten werden und mehrere Familienmitglieder und Freunde in Folge der NS-Politik umkommen. Sie wird für lange Jahre in eine Nervenklinik gesperrt. Im Alter, am 80. Geburtstag ihres Mannes, schießt sie auf einen der „versöhnten" Nachkriegsdemokraten. Als junge Frau schon war sie aufgefallen, wurde zur Seite genommen, weil sie in aller Öffentlichkeit aussprach, was die Männer höchstens dachten: „Der kaiserliche Narr".
Angefangen bei der Fähmel-Figur und anders, deutlicher noch, bei Anna Magdalena Bach, aus deren Sicht Bachs Leben und Arbeiten erzählt werden, arbeiten Straub und Huillet bereits in ihren frühen Filmen die Frauenperspektive heraus, immer gemäß der Texte, die zugrunde liegen. „Eine Frau mittendrin bei Brecht zu inszenieren, wo er eben keine hatte, das wäre falsch auch für die Frau", sagt Danièle Huillet bezogen auf Geschichtsunterricht (1972). Straub bemerkt zur wesentlich späteren Verfilmung der Schönberg-Oper Von heute auf morgen (1996): „Es ist ein Text von einer Frau (Gertrud Schönberg alias Max Blonda). Wir haben nur zwei Filme gemacht, in denen die Texte von einer Frau stammen. Der erste ist ein Sieben-Minuten-Film, der heißt En rachâchant auf französisch, das war Marguerite Duras."
Kennengelernt haben sich Danièle Huillet und Jean-Marie Straub 1954 im Vorbereitungskurs der Pariser Filmhochschule. Straub erzählt, daß er von den MitstudentInnen als Sachverständiger für Huillets Kritik am dozierten Filmverständnis angesehen wurde und sofort verliebt war. Huillet erwähnt, daß sie dunkelhaarige Leute lieber mochte. Sie folgt ihm in die Bundesrepublik, lernt über die Beschäftigung mit den Bachkantaten Deutsch, später Italienisch und realisiert zusammen mit ihrem Mann bis heute 25 Filme.
Ein Grund, warum sich die Huillet/Straub-Filme gerade auch hinsichtlich der Geschlechterpolitik radikal von denen ihrer allermeisten RegiekollegInnen unterscheiden, ist sicher die Tatsache, daß in einer Generation, in der das alles andere als üblich war, eine Frau und ein Mann von Anfang an gleichberechtigt und an der Sache orientiert zusammengearbeitet haben, daß Huillet ihre Position behauptet, auch ausfüllt und Straub immer auf der Mitarbeit seiner Frau bestanden hat.
Normalerweise treten die Filmemacher gemeinsam auf. In einem ausführlichen Interview durch die Zeitschrift Frauen und Film (Heft 32, 1982) wird die Regisseurin allein befragt. Im Interview geht es unter anderem um die Frage von Haupt- und Nebenwiderspruch, eine Diskussion (Klassenlage versus Geschlechterunterschied), die, wenn sie heute noch geführt wird, meist von den umgekehrten Prämissen ausgeht – innerhalb der bürgerlich institutionalisierten Frauenbewegung erscheint die Geschlechterdifferenz längst als eine vor allen Klassenschranken rangierende. Die Interviewerinnen kannten und respektierten den dezidiert anderen Standpunkt des Filmemacherpaars, der auf der Notwendigkeit eines – auch gemeinsamen – Kampfes gegen das herrschende Wirtschaftssystem beharrt. Dazu ist erstens anzumerken, daß dieser Standpunkt 2006 in Deutschland – angesichts beispielsweise einer konservativen Familienministerin, die unverblümt für die Belange ihrer Klasse eintritt – als politisch äußerst weitsichtig zu bewerten ist; und zweitens, daß Huillet/Straubs Filmarbeit weder in der einen, noch in der anderen Richtung der Haupt- und Nebenwiderspruchsformel gehorcht.
Unausgesprochen ist Danièle Huillet im Interview dem Vorwurf ausgesetzt, keine „eigenen" (Frauen-)Filme zu realisieren. Sie antwortet solidarisch und macht auf konkrete Nachfragen hin klar, was sie z.B. von einer Hausfrauenfigur (Delphine Seyrig in Chantal Akermans Jeanne Dielmann) hält, der sie die erzählerisch behauptete, tägliche Last des Kartoffelschälens auf der Darstellungsebene nicht glaubt. Angesprochen auf Marguerite Duras antwortet sie: „Ich bewundere sie schon. Sie hat eine große Energie und ist sehr bissig, aber ich bewundere mehr eine Frau, die das alltägliche Leben schafft, nicht nur als Intellektuelle (...) die das schafft mit Mann und Kindern, sich nicht umbringt und damit leben kann. Ich finde das viel schwieriger, als Filme zu machen." Bevor Huillet sich für die Zusammenarbeit mit Straub entschieden hat, wollte sie ethnographische Dokumentarfilme machen. Mehrfach hat sie erwähnt, daß sie von ihrer Familie ausgelacht wurde, weil sie als Kind Bäuerin werden wollte.
Zurück zur Positionierung der Filme in der Frauenfrage! Gerade auch nach der Niederlage des Sozialismus schwenken Huillet/Straub nicht um. Angefangen mit Antigone (1991), entscheiden sich die Frauenfiguren der späteren Filme weiterhin gegen die „politische Vernunft", opponieren gegen alte und neue Herrschaftsformen, widersprechen wie die junge Colette in Lothringen (1994) der „vollendeten Tatsache". In den Filmen um 2000 nach Texten von Elio Vittorini kommen verstärkt Frauen aus anderen als der bürgerlichen Klasse zu Wort: Arbeiterinnen, Bäuerinnen. Auch auf der Darstellungsebene blenden Huillet/Straub die Klassenlage nie aus. Sie besetzen Laien, „lavoratori", die nach Feierabend zu ihren Filmproben kommen. Ohne das stereotype Bild der ursprünglichen, schon „von Natur aus" starken, italienischen Frau und Mutter nochmals zu zitieren, zeichnen sich die Vittorini-Filme dadurch aus, daß die gezeigten Arbeiterinnen, Bäuerinnen im faschistischen Italien ebenso wie im amerikanisierten der Nachkriegszeit mindestens so handfest wie die Männer und gleichermaßen gebeutelt von der Moderne ihre Arbeit machen und für ihre Sehnsüchte eintreten.
Explizit wird der behauptete Unterschied der Huillet/Straub-Filme in der Frauenfrage im Opernfilm Von heute auf morgen. Film und Oper wenden sich gegen eine Geschlechterpolitik, die unter modischen Befreiungsformeln die seelisch-körperlichen Krankheiten der bürgerlichen Klasse, vornehmlich tradiert in den Frauenfiguren der zugehörigen Kulturtradition, immer weiter zur Sache der Allgemeinheit erklärt. „Haben Sie doch endlich den Mut, ihr eigenes Leben zu leben" provoziert „der berühmte Tenor" die Frau eines bürgerlichen, in die Krise gekommenen Ehepaars der Weimarer Republik. „Wenn wir beide das unsere leben, lebt keiner ein andres als seins!" antworten die Eheleute. Straub beschreibt die Oper als komödiantisch-dezidiertes Statement gegen den Femme-fatale-Mythos, der eine moderne Variante der Hexenverfolgung darstelle: „Ich behaupte, sie, die Gertrud (Schönberg), und er, abgesehen von dem autobiographischen Aspekt, hatten die Nase wirklich voll von diesem Lulu- und Nana-Thema, und die haben sich quergestellt und wollten eben etwas anderes kundgeben. Und dieses andere fängt nach meiner Ansicht an mit dem Hohen Lied der Liebe und geht dann über Meister Eckart und Juan de la Cruz bis zu den Duetten von Bach Liebesduetten. (...) Es sind wirklich mystische Beziehungen zwischen Mann und Frau da." Huillet/Straub-Filme zeigen die Phasen der Verwandlung, des Verlustes und des Wiedergewinnens, die Frau/Mann-Beziehungen sowohl innerhalb der so genannten Kulturtradition, als auch als persönlich-private Bewährungsprobe in einem gleichberechtigt partnerschaftlichen Alltag durchlaufen.
Neben weiteren Auftritten Danièle Huillets in späteren Filmen, beispielsweise in Schwarze Sünde (1988), bleibt ganz besonders ihr Sprechen von Offtexten zu erwähnen. In Zu früh/Zu spät (1980) sowie in Paul Cézanne (1989) leistet ihre Sprecharbeit eine höchst subversive Aktualisierung der kanonisierten Politiker-/Künstlertexte.
Und zurückkommend auf die Frage der Zusammenarbeit gilt nicht nur intern bei den Regisseuren nie die scheindemokratische Maxime, daß jede/r alles machen muß. Immer ziehen die Filmemacher auch MitarbeiterInnen hinzu. In den Credits ist abzulesen, daß Huillet als Hauptverantwortliche die Produktionsleitung übernimmt. Sie bringt die Drehbücher in eine zeilen-/versgegliederte Schreibmaschinenform, achtet bei Proben verstärkt auf die Blicke, Gesten, Gänge der DarstellerInnen und, zusammen mit Straub, auf die richtige Wiedergabe der erarbeiteten Textbetonungen und Sprechpausen. Beim Drehen, sagt sie, „bin ich mehr mit dem Ton zugange und er mit der Kamera." Bei der Montage leistet sie die handwerkliche und die Feinarbeit am Schneidetisch. Auch viele der Aufgaben nach Fertigstellung der Filme (z.B. die Untertitelung) leitet Danièle Huillet.
Dokumentarfilme über Huillet/Straub zeigen, daß die Auseinandersetzungen über die Frage der Arbeitsteilung auch nach über 40 Jahren Zusammenarbeit nicht beigelegt sind. Es gibt Streit zwischen den beiden Regisseuren, grundsätzlichen Streit darüber, wie etwas zu denken, zu entscheiden, zu machen ist. Aber auch darüber, wie jede/r sich auf den anderen verlassen kann, und daß der/die andere immer wieder in alte Muster zurückfällt. Huillet/Straubs Filmemachen gründet in den persönlichen Erfahrungen eines ausdauernden, gemeinsamen Lebens und hat sich nie dem heute propagierten Modell einer „professionell"-pragmatischen Teamwork-Symbiose ergeben. Zusammenleben und -arbeiten bleibt, wie ihre Filme erzählen, etwas Ungesichertes, ist von außen und innen gefährdet und muß von zwei Leuten immer wieder neu erfunden werden.
Stefan Hayn