Heile Welt, Lithography, 1991, Paris.

 


PARADOXALE KONSTELLATIONEN DER OBERFLAECHE.
UEBERLEGUNGEN ZU HARALD V UCCELLOS HEILE WELT BILDERN

VON GEORG KOCH-JAFFE

Prolog

Als ich Harald V Uccello anlaesslich des geplanten ZWISCHENWELTEN-HEFTES 1 zu seinem 1991-1993 in Paris und Chianti entstandenen Bilderzyklus Heile Welt um Angaben zu einem Curriculum vitae ersuchte, gab er mir folgenden kurzen Text:
"Ihr moegt mich fragen, woher ich komme, aber in Wahrheit gibt es kein Woher meines Kommens, noch hab ich irgendeine Heimat. Lebt wohl. Von Berg zu Berg will ich weiterschweifen, im Fruehling die Blueten sehen, im Sommer die Sonne auf den Pelz mir brennt, im Winter im Schneefall, der alles umfaengt ins Land nirgendwo."

Scheint die Metaphorik dieses Textes vordergruendig das Beduerfnis Uccellos zu hypostasieren, sich nicht festlegen lassen zu wollen, auch nicht in der Form abstrakter Daten, so enthaelt sie im weiteren Sinn eine Charakteristik seiner kuenstlerischen Existenz. Repraesentiert Uccello doch den Kuenstlertypus, den der Versuch nach radikaler Verwirklichung seines kuenstlerischen Konzepts zwangslaeufig in Gegensatz zu jedem System stellt. Denn diese Suche nach Bedingungen einer freien kuenstlerischen Arbeit ist es, die Uccello immer wieder zu neuen Orten aufbrechen laesst.

Dass sich diese Haltung als Spannung zwischen Verweigerung und intensivem Lebensgefuehl, der Uccello einmal in einem seiner Filme mit dem scheinbar lapidaren Satz "I cant relax anyway" Ausdruck verlieh, in seiner kuenstlerischen Sichtweise niederschlaegt, ist offensichtlich: Aesthetische Autonomie ist bei Uccello nie selbstzweckhaft, sondern noch in der Negation des Zweckhaften auf einen Inhalt bezogen. Dieses bewusste In-der Welt-Sein kristallisiert sich in seinem Werk als gelungener Versuch, konkrete, durch Erfahrung gewonnene Inhalte in eigene intensive Bildsprachen zu uebersetzen.

Von daher bleibt diese Haltung dem Werk nicht aeusserlich, sondern konkretisiert sich darin als dialektische Spannung zwischen Wahrnehmung von Inhalten, Form und Produktionsbedingungen. Dieser reflektierte Zusammenhang bildet die Antipode zu einer aestethischen Unmittelbarkeit des Bildlichen, auf die Uccellos Werk nicht reduzierbar ist, will man dessen Komplexitaet gerecht werden.


I

Der Titel Heile Welt, mit dem Uccello diese Werkgruppe ueberschreibt, scheint zunaechst einen allenthalben anzutreffenden Bewusstseinszustand und die mit ihm assoziierten Vorstellungen und Bilder anzuvisieren. Das Beduerfnis nach einer heilen Welt entspringt dem Gefuehl der Entfremdung zwischen dem Modernisierungsprozesss und den Vorstellungen und Empfindungen seiner Produzenten, die weder mit dessen Komplexitaet noch seiner Dynamik Schritt halten koennen. Die dieser Ungleichzeitigkeit entspringende Erfahrung eines Sinnverlusts ruft den Wunsch hervor, sich am konkret Vorhandenen, Einfachen und Ueberschaubaren festzuhalten. Hierin liegt der Kern des Desiderats einer "Heilen Welt", das sich zum Phantasma eines quasi-mytischen Weltbilds und Sinnsurrogats verdichtet.

Die Krux liegt jedoch darin, dass das, was als Gegenentwurf, als Ort der Geschlossenheit und des Rueckzugs erscheint, selbst dem Modernisierungsprozess unterworfen bleibt. Seiner jeweiligen konkreten Huelle entkleidet, reduziert sich dieses Beduerfniss nach einer heilen Welt zum disponiblen Affekt, der mit beliebigen Ideen und Bildern, politischen wie aesthetischen, kurzgeschlossen werden kann. Diese Funktion wird vornehmlich von den Produkten der Werbung und Kulturindustrie wahrgenommen und findet seinen signifikantesten Ausdruck in der Synthese einer technizistischen brave new world und dem Bild einer reinen Natur.
Die sich darin offenbarende Erfahrung erlaubt die Frage zu stellen, ob der Topos "Heile Welt" nicht als zentrales Motiv gegenwaertiger Kunstproduktion und -reflexion verstanden werden koennte. Scheint doch einerseits die aus fortschreitender Konzeptualisierung und der Dekunstruktion des tradierten Kunstbegriffs hervorgegangene Intention einer Selbstaufhebung der Kunst in Lebenspraxis als utopischer Vorschein eines dysfunktionalen Lebens einer regressiven Aufloesung zu unterliegen: als Ornament und soziale Hygiene nimmt Kunst auch heute noch eine affirmative und zur Harmlosigkeit verurteilte gesellschaftliche Funktion ein. Andererseits treibt das Scheitern der
Avantgarde immer wieder ihre Kehrseite hervor: das Streben nach dem Mythos und der Eingebundenheit in das Ritual. In beider Hinsicht offenbart sich Kunst von dieser Seite betrachtet als Vexierbild profaner Wuensche - der Sehnsucht nach einem vegetativen Dasein. Hierin korrespondiert Kunst mit dem Wesen des Scheins von Leben, den die Produkte von Werbung und Kulturindustrie permanent versprechen.

Harald V Uccellos Heile Welt Bilder koennten als ein Versuch gedeutet werden, diese Korrespondenz sichtbar zu machen, ohne ihren Zauber zu durchbrechen, noch ihm zu verfallen. Sie deuten einen Zwischenbereich an, den ich als "paradoxale Konstellationen der Oberflaeche" umschreiben
moechte.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist zunaechst die Einsicht, dass ein Kuenstler sowohl hinsichtlich des Materials seiner Wahrnehmung als auch dessen kuenstlerischer Verarbeitung auf Vorhandenes angewiesen ist und nach dem Zerfall der Avantgarde sich mit einer Fuelle von Stilen und Ismen konfrontiert findet. Dem dadurch nahegebrachten produktiven Rueckgriff auf die Geschichte und ihre unabgegoltenen Potentiale ist jedoch eine spezifische Ambivalenz inhaerent, die sich idealtypisch als der Kontrast zweier Haltungen beschreiben liesse. Dem Entwurf eines briccoleurs im posthistoire auf der einen Seite, der beliebige Mosaike der modernen Kunst zusammenfuegt, waere das Bild des melancholischen Lumpensammlers entgegenzustellen, dessen Improvisationen aus den Truemmern einer zerfallenen Welt im geschichtlich-gesellschaftlichen Hohlraum die Spur eines wie auch immer Transitorischen, einer Utopie, andeuten.

Das ausschlagebende Moment der Haltung des Lumpensammlers ist jedoch letztlich die Erfahrung des auf sich selbst zurueckgeworfenen Kuenstlers. Gerade der Charakter des Lumpensammlers negiert aber die heroische Version vom autonomen kuenstlerischen Subjekt, tritt er doch in einer Situation auf, in der kuenstlerische Subjektivitaet nicht mehr das exclusive Zentrum einer Einheit von Kuenstler und Werk bildet, sondern selbst peripher und exterritorial geworden, sich im Medium weithin anonymer Wahrnehmungen und Erfahrungen bricht.

Vor diesem Hintergrund gewinnt eine Perspektive der Oberflaeche - die nicht die blosse Faktizitaet meint - ihre geschichtsphilosophische und aesthetische Relevanz. Exemplarisch erhellte bereits in den Zwanziger Jahren S. Kracauer in den "unscheinbaren Aeusserungen" der opaken Phaenomene des Alltags die verborgenen Potenzen und Potentiale, welche die selbstvergessene Idee einer fortschreitenden und deshalb katastrophischen Moderne zu torpedieren vermochte. Kracauers skeptische Sicht scheint sich gerade heute zu bestaetigen: Die grossen Erzaehlungen sind verschwunden, waehrend eine kulturindustriell erzeugte und monstroese Mythologie des Alltaeglichen und Banalen, die immer wieder letzte und neueste Momentaufnahme zu sein scheint, die eine stagnierende okzidentale Kultur hervorbringt.

Die Herausforderung der Massenkultur und die mit ihr einhergehende Praeformierung der Wahrnehmung als zweite Entfremdung war und ist ein wesentlicher Bezugspunkt moderner Kunst, sei es in Gestalt der abstrakten Nagation des scheinrealen Abbildes der Welt, ihrer Fotographie, sei es in der Weise, dass das Alltagsobjekt, seinem Kontext entfremdet, die Rolle des Kunst-Objekts einnimmt oder einen kuenstlerischen Transformationsprozess unterworfen ist.

Als nicht zu unterschaetzender Aspekt macht sich der geschichts-philosophische Gedanke einer Uebergleichzeitigkeit geltend, die Funktion des Warencharakters mit ihren eigenen Mitteln zu ueberwinden, indem sich das Kunstwerk diesem assimiliert. Die darin enthaltene Vision eines legitimen Schlages gegen das buergerliche Subjekt und die ihm zugehoerige Sphaere autonomer Kunst findet, eingedenk der zeitgenoessischen Situation, ihre Grenze dort, wo die Destruktion der Aura des Kunstwerks in eine Auratisierung des Banalen umschlaegt. Diese Verkehrung ist nicht etwa scheinbar anachronistischen Residuen autonomer kuenstlerischer Subjektivitaet,
sondern dem Versuch ihrer Tilgung zuzuschreiben. Bilden diese Element des Widerstaendigen doch die Voraussetzung einer Distanz, die, als zugleich aesthetische und kritische, nicht nur die Phaenomene der alltaeglichen Wahrnehmung, sondern auch deren Strukturen selbst transparent machen kann. Das exemplarisch in Uccellos Heile Welt Bildern zum Ausdruck gelangende konstruktive Eingreifen, die Phaenomene der Oberflaeche mittels Selektion, Transformation und Montage ihrem eingeschliffenen Kontext zu entfremden, erzeugt das Vermoegen, paradoxale Konstellationen zu schaffen, die aufgrund ihres disruptiven und transzendendierenden Charakters, Momente eines "Ganz Anderen", Utopischen aufblitzen lassen koennen.


II

Wenn ich nun also versuche, vor dem oben skizzierten Hintergrund nach dem Spezifischen des Werkes Harald V Uccellos zu fragen, ist dies zugleich die Suche nach einem zentralen Motiv des scheinbar disparaten und diskontinuierlichen Ouevres. Den Schluessel dazu koennte eine Notiz beeinhalten, die der Kuenstler im Prozess der Heilen Welt Arbeit niederschrieb. Wenn er dort von der "monochromen Verweigerung gegenueber dem Zwang zu erfinden" spricht, so verweist dies zunaechst auf die fruehe Produktion des damaligen Fruhtrunk-Schuelers - jene Weissen Bilder, die dieser Intention radikaler Verweigerung Ausdruck verliehen. In einem Interview bezeichnete Uccello diese "leeren Bilder als Versuch den Nullpunkt an Originalitaet zu malen, unter anderem auch deshalb, um das Kunstobjekt zu entwerten. Es war eine sehr immaterielle Malerei. Das einzige was mich noch stoerte, war, dass das Ergebnis dauernd sichtbar an der Wand hing..."

Einerseits Kristallisation des radikalen Zweifels an der truegerischen Evidenz des Gegenstaendlich-Sichtbaren, wie darueber hinausgehend auch des strukturell Faktischen, laesst sich das "leere Bild" als Negation sowohl des Zwangs zum Abbild als auch zur abstrakten Form deuten. Andererseits ist die tabula rasa als Ausdruck aeussester Abstraktheit immer das Kehrbild konkreter Fuelle und deshalb Momentaufnahme in einem kuenstlerisch-kreativen Prozess des Uebergangs. Bei Uccello vollzog sich dieser durch die Entscheidung von nun an Filme zu machen, eine Wendung, die die vorhergehende Etappe des kuenstlerischen Prozesses bewusst aufhob. Denn indem seine Filme die "aesthetische Besonderheit, den Eigenwert und die Dynamik des Bildlichen" (T. Wimmer) akzentuierten, suchten sie eine Moeglichkeit kuenstlerischer Auseinandersetzung mit der Oberflaeche, die nicht auf deren blosse Abbildung zielte, sondern deren Scheinzusammenhang aufsprengte, um den verborgenen unscheinbaren Aeusserungen Transparenz zu verleihen.

Die Verfluessigung erstarrter Formen ist in Uccellos Filmen Index in mehrfacher Hinsicht. Sie konterkarriert nicht nur filmische Konventionen und - vor allem durch das Fernsehen determinierte - Sehgewohnheiten, sondern betrifft auch die Produktionsweise und hierarchische Arbeitsteilung der Branche, die in Uccellos Filmen auf den Kopf (oder auf die Fuesse) gestellt wurde. Gerade durch die kollektive Herstellung - Uccello arbeitete ausschliesslich mit Freunden an Filmunikaten ohne Budget und Ruecksicht auf Verleih - gelang es, seinen Filmen persoenliche Inhalte zu verleihen und dadurch die Trennung von Privatsphaere und Oeffentlichkeit zu ueberwinden.

Die folgende Einschaetzung eines Kritikers von Uccellos New York Trilogy
kann deshalb exemplarisch fuer seine filmischen Arbeiten gelten: "Only You,
O.K.Today Tomorrow und Measure Taken sind poetische Forschungsreisen. Sie erforschen Lebenswelten. Nicht Verklaerung, nicht Suche nach Exotik und Exzentrik sind diesen Filmen eigen, sondern das Bestreben, in der Darstellung von Menschen, Orten, Handlungen und Vorgaengen, Erkanntes und Vertrautes in neuen Zusammenhaengen neu zu entdecken. Dadurch werden Differenzen verstaendlich. Von Stanton Film (Only You) zu W. Gropius Group (O.K.Today Tomorrow) zu Unovis(Measure Taken), eine kollektive Arbeitsweise zeichnet die innere Entwicklungslinie der New York Trilogy. Sie verlaeuft konzentrisch, immer schaerfer aufs Detail - die Zuschauer koennen den Erfahrungs- und Lernprozess der Produzenten mitvollziehen."


III

Nicht nur fuer diejenigen, die Uccellos Filme als gelungenen Gegenentwurf zu den herschenden Konformismen schaetzen, muss sich die Frage stellen, in welcher Weise das erneute Interesse an der Malerei aus den vorausgegangenen Erfahrungen Gewinn zieht.

Dabei ist zu vergegenwaertigen, dass Uccellos Arbeiten nicht nur eine Grenzueberschreitung und Verfransung der Kunstgattungen intendieren, sondern ihre Autonomie und ihren Wahrheitsgehalt durch die kritische Kommentierung der gesellschaftlichen Formen der Wahrnehmung und Produktion erhalten. So betrachtet wird Uccellos Rueckkehr zur Malerei als ein Schritt verstaendlich, in dem sich seine persoenliche Erfahrung, die Moeglichkeiten des No-Budget-Super-Acht- bzw. Video-Films ("fuer den Moment zumindestens erst einmal"- Uccello) ausgeschoepft zu haben mit der Einsicht in die zwischenzeitlich verschaerften Formen der Verdinglichung durch technische Medien verbindet. In Uccellos Malerei manifestiert sich so eine entschiedene auf eine genuin menschliche Technik, die sowohl gegen die technologische Antiquiertheit des Menschen protestiert, wie gegen die Tendenz maschineller Bildproduktion ein scheinbar lueckenloses Abbild der Welt zu suggerieren. Dieses Bestehen auf der Differenz von Produktion und Produkt, wie gegebenem Gegenstand und Abbild ist ein materialistisches Motiv, das darueber hinaus die heimliche Metaphysik jeden technizistischen Simulacrums, aus dem jede Spur des Erzeugens verschwunden ist, transparent macht.

Denn im Unterschied zur bloss registrierenden Unmittelbarkeit des Kameraauges, bietet sich der malerischen Transformation die Moeglichkeit zur Intervention und Akzentuierung von Bruechen und Interferenzen schon waehrend des Entstehungsprozesses des Bildes. Die Illusion der vollstaendigen Reproduktion des Gegenstandes wird dadurch durchbrochen. Der Neigung der Kamera, den Eindruck scheinbar geschlossener Totalitaet zu erwecken, stellt Uccellos Malerei die Betonung einer notwendig fragmentarischen Perspektive entgegen. Hierin knuepft der Kuenstler jedoch durch Verfremdung der Kameraperspektive und eine Montagetechnik, die gezielt Anschluesse destruiert, die Illusion des Abbildes zu unterlaufen versuchte, um eine spezifische bildliche Merkwuerdigkeit freizulegen.

Wie in seinen Filmen versucht Uccello auch in seiner Malerei, "Bilder, die nicht sichtbat waren, wieder mit neuen Inhalten aufzuladen". Dies manifestiert sich schon auf der Ebene der Wahrnehmung selbst. Denn das Material, das Uccello seinen Heile Welt Bildern zugrunde legt, ist das Produkt einer bestimmten sytematischen Auswahl alltaeglicher Momentaufnahmen, wie sie unserer Wahrnehmung zufallen. Die darin geronnene subjektive Erfahrung ist vielfach vermittelt mit einem anonymen gesellschaftlichen Rahmen, dessen Umrisse vom Kuenstler durch die fuenf ("immer wieder kehrenden"-Uccello)Motive: Meine Frau, Mein Haus, Mein Haus, Mein Auto Mein Comic, Mein TV skizziert werden. Die verschiedenen Schritte des Malprozesses verleihen dieser Spannung immer schaerfer hervortretende Konturen.

Schon allein im Prozess des Findens und Aufhebens jener Bruchstuecke persoenlicher Wahrnehmung und Erfahrung macht sich Uccello die zeitgenoessische Version der eingangs geschilderten Strategie des Lumpen sammelnden Flaneurs zu eigen, sich dessen bewusst, dass der Blick auf den Abfall, den er "aufhebt", durch die Optik der Massenmedien gepraegt ist.
Die Materialien, die Bilder, die Uccello sammelt und malt - Fotos, Ausschnitte von Zeitschriften etc. - sind die auf Strassen und oeffentlichen Plaetzen zu findenden: Reproduktionen von Reproduktionen, in denen die Authentizitaet ihres lebendigen Vorbildes restlos verschwunden ist, die nur noch im kuenstlerischen Wiederverarbeitungsprozess erahnt werden kann.

Uccellos Heile Welt Bilder sind zur einen Haelfte in Paris und zur anderen in der Toscana enstanden. Nichts koennte die universelle und zugleich ortlose Praesenz der Kulturindustrie und die durch sie verbreitete Ideologie der Heilen Welt besser verdeutlichen.

Im zweiten Schritt, der den Vorgang des Findens und Selektierens folgt, fertigt Uccello Zeichnungen zu jedem Motiv an, deren Rohes und bewusst Skizzenhaftes die Verfremdung der Vorlage betont. Das Resultat, Bilder aus fuenfzig Gouachen, bilden die Grundlage fuer jede moegliche Komposition. Einen Zwischenschritt dazu stellen fragmentarische Kompositionen der fuenf Motive dar. Die naechste Stufe, der erneut Skizzen zugrunde liegen, bilden die als Anti-Kompositionen zu verstehenden Dyptichons und Tryptichons mit
zwoelf beziehungsweise achtzehn Bildern aus den fuenf Motiven. Indem Uccello sich hier die Struktur des Keilrahmen zunutze macht, hebt er erneut die krude Materialitaet seiner Bilder hervor. Dieser Effekt unterstreicht das Bestreben Uccellos, durch die analytische Trennung der Elemente, den Betrachter anzuregen, die Segmente, die dem Strom ineinander geschobener Komplexe von Bildern zugrunde liegen, festzuhalten. Die Wiederholung der Motive in verschiedenen Variationen erfaehrt so eine zweifache Bedeutung: zum einen macht sie die Stereotypie dieser Bilderwelt bewusst, zum anderen verweist sie auf die sisyphoshafte Anstrengung des Kuenstlers, wie des Betrachters, verstellte Wahrnehmungsstrukturen freizulegen.

Dieses Verfahren des Innehaltens, der Fixierung bereits im Entstehen sich verfluechtigender Momentaufnahmen laesst darueber hinaus eine unbeachtete, verdraengte Dimension aufscheinen: die sinnliche Praesenz der Dinge. Die Ikonen der Waren- und Konsumwelt, einmal dem Kontext medialer Praesentation entzogen, verlieren die Glaette leerer selbst-referentieller Zeichen und erinnern - pointiert durch die expressive Gestik, die Uccello ihnen verleiht - an die Prozesse, die sie hervorbrachten. Der Choc, den die Intensitaet dieser Bilder ausloest, koennte so als das Wiedererkennen der "gespenstischen Gegenstaendlichkeit" der Waren verstanden werden.

Denn die verfremdete Vertovsche Perspektive des Kuenstlers aufs Gewohnte vermag nicht nur die Aufmerksamkeit des Betrachters fuer diese Gegenstaende zu erhoehen und aus trancehafter Passivitaet zu erwecken, sondern eroeffnet ihm auch die Moeglichkeit, in den sublimen Konstellationen der Bilder die scheinbar notwendige Ordnung der Dinge und ihre Beziehungen zu den Subjekten in einem neuen - subversiven - Licht zu erblicken, in dem ihre Verkehrung aufblitzt. Als eine ironische Metamorphose der "theologischen Mucken" der Waren bringt die kuenstlerische Transformation der gesammelten Bilder-Objekte diese zum Sprechen und zaubert ihre verborgenen Geschichten hervor. Diesen allegorischen Charakter einer kryptischen Bilderschrift enthaelt schon die strenge Form der Dyptichons und Trytichons, die durch die Trennung der Elemente hindurch korrspondenzen andeutet, die eine neue Ordnung der einzelnen Bilder schaffen. Hierbei bedient sich der Kuenstler, auch dies ein Reflex seiner filmischen Erfahrungen, eines Verfahrens, in dem die Bildmotive in unterschiedlichen Einstellungen quasi-kinematographisch aufgenommen werden. Dadurch wird nicht nur die Struktur, der ein Bild konstituierenden Elemente transparent, sondern ein Eisensteinsches Spannungsverhaeltnis zwischen den einzelnen Bildern, wie zum Betrachter beschrieben, das fixierte Raumvorstellungen destruiert und imaginaere, unbegrenzte Raeume schafft.

Ergaenzt wird dieses Verfahren durch die Farbdramaturgie der Bilder, die gegen den Eindruck einer organischen Einheit von Farbe, Flaeche und Raum, die sprengende Eigenwertigkeit der Farbe akzentuiert und zugleich in der bewussten Verwendung von verkehrten Farbtoenen deren herkoemmliche Bedeutung unterlaeuft.

Den auf diese Weise sich herauskristallisierenden (quisiquasi - Uccello) gemalten Collagen, deren Technik an das Montage-Verfahren seiner Filme anknuepft, verleiht Uccello in den als offene Synthesen zu betrachtenden grossen Kompositionen, der letzten Stufe seiner Heile Welt Bilder, ihre ausgereifte Gestalt. Die Durchfuehrung des von ihm so genannten Prinzips des cinema morte - als Stilleben von leblosen Biildern - materialisiert sich hier in improvisierten Mosaiken, die sich der Illusion einer geschlossenen Konstruktion widersetzen.

Diese surrealen Phantasmagorien sind keine epigonenhaften Nachzeichnungen. Die auch in Uccellos Bildern zum Ausdruck gelangende "Erfahrung der eigenen Verrueckheit", die lediglich der "halluzinatorischen Verruecktheit" der Produktion der Surrealisten aehnelt, vergegenwaertigt, dass deren "kuenstlich geschaffenen psychische Landschaften heute zu gewoehnlichen realen Landschaften geworden sind" (R. D. Brinkmann).
Dieser reale Grundton wird durch die gesellschaftliche Verortung der Bildmotive betont, die somit dem freien Spiel von Moeglichkeiten eine latente Systematik einschreibt.

Auf diese Weise zeichnen sich in den Bildern Uccellos die Konturen eines komplexen Blickes auf die gegenwaertige Gesellschaft ab, denn wie die Motive Mein Haus, Meine Frau, Mein Auto, die sozialen Grundverhaeltnisse anvisieren, so verweisen die Sujets Mein TV, Mein Comic auf einen erweiterten Verdinglichungszusammenhang.

Uccellos Konstellationen sind also keine abstrakten Modelle, sondern deutlich subjektiv gebrochene Konkretionen gesellschaftlicher Zustaende oder, anders gesagt, Darstellungen von Situationen, die durch diese fuenf Grundmotive gepraegt sind.

Nicht zuletzt dieser situative Charakter der Heile Welt Bilder erzeugt ein Spektrum, durch das es Uccello gelingt, der Ambivalenz einer Mythologie des Alltaeglichen Ausdruck zu verleihen. Am nachdruecklichsten wird diese allen Bildern Uccellos eigene Spannung vielleicht in den Frauenbildern der grossen Kompositionen sichtbar. Waehrend Uccello in der Form der Dyptychons und Tryptichons die Gleichfoermigkeit der Bilder-Objekte akzentuiert, stellen die Frauenmotive in authentischer Koerpergroesse eine perspektivische Verschiebung dar. Uccello zeigt durch diese bewusste Aufwertung, die er als Versuch verstanden wissen will, "dem Subjekt die Wuerde zurueckzugeben", einen utopischen Ausblick auf, verdeutlicht jedoch zugleich, dass auch dieser in den Formen verdinglichter gesellschaftlicher Wahrnehmung gefangen bleibt.

Dieser Zwiespalt steht vielleicht symptomatisch fuer das gesamte Heile Welt
Bilder-Projekt. Denn wenn Uccello versucht, in diesen Bildern an eine zunehmend entschwindende Utopie zu erinnern, ist diese doch in ihrer pervertierten Form gegenwaertig und nur der kuenstlerische Prozess selbst vermag Spuren dieser Erinnerung festzuhalten. Das sich darin offenbarende Scheitern schlaegt den Bogen zum Ausgangspunkt seiner Malerei, den Uccello als "monochrome Verweigerung" bezeichnete. Zu jenem Ausgangspunkt, der doch auch den Ursprung jeder erneuten Anstrengung bildet, frei nach dem Satz von Albert Camus: "Man muss sich Sisyphus als gluecklichen Menschen vorstellen."

Literatur

Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen, Muenchen 1956.
Baudrillard, J.: Von der absoluten Ware. In A.Warhol, Silkscreens from the Sixties, Muenchen 1990.
Benjamin, W..: Gesammelte Schriften, Frankfurt/M 1980 ff.
Bloch, E.: Erbschaft dieser Zeit. Gesamtausgabe Bd. 4, Frankfurt/M 1977.
Brinkmann, R.D.: Notiz. In: Die Piloten, Koeln 1969.
Koch, G.: Siegfried Kracauers Theorie der Moderne. Muenchen 1990.
Kracauer, S.: Gesammelte Schriften Bd. 5/1-3, Franfurt/M 1990.
Marx, K.: Das Kapital, Bd. 1; MEW 23, Berlin 1972.
Ohff, H.: Pop und die Folgen, Duesseldorf 1968.
Wimmer, T.: Kino als Modellbau von Freiheit. Die Filme Harald Vogls. In: "24", Filmzeitung/Eins/, Muenchen 1991.

Harald V Uccello in Lamole/Chianti, 1993 (Foto: G.Koch).